Suderwick West unter niederländischer Verwaltung: Die Zeit vom 23. April 1949 bis 01. August 1963
von Josef Brüninghoff
Wir schreiben das Jahr 1945, der Krieg war beendet, Deutschland war besiegt. Die Siegermächte berieten und beschlossen, die Verwaltung Deutschlands teilweise unter fremdländische Verwaltung zu stellen.
Dieses geschah am 23. April 1949.
Zuvor waren Gerüchte über eine Grenzkorrektur und eine Grenzbegradigung im Umlauf, jedoch wusste keiner genau, was geplant war. Dann Ende März Anfang April 1949 wurde bekannt, dass auch in Suderwick eine Veränderung vorgenommen werden sollte.
Nach und nach wurde das Pariser Protokoll der „Alliierten Grenzkommission“ bekannt. Dieses Abkommen war ohne die Mitwirkung der deutschen Bundesrepublik zustande gekommen und sah vor, kleinere Grenzgebiete an Belgien, Luxemburg und die Niederlande abzutreten. Es waren Empfehlungen, die von der alliierten Grenzkommission ausgearbeitet worden war. Es lag jetzt an den jeweiligen Ländern, ob sie die zugesprochenen Gebiete in Besitz nehmen wollten. Die Bevölkerung wurde nicht mit einbezogen und es war auch nicht geplant, eine Befragung durchzuführen. Die Atlantik-Charta wurde nicht beachtet.
Belgien und Luxemburg hatten ein Einsehen und verzichteten ihrerseits auf die ihnen zugesprochenen Gebiete, weil das ihrer Meinung nach für die Durchsetzung des Europäischen Gedankens besser sei, als die Abtrennung einiger deutscher Gebiete vom Mutterland und somit der Trennung von Familien.
Die Frage tauchte nun auf, ob sich auch die Niederlande diesem Gedanken anschlössen. Nach der Beratung in der ersten Kammer des niederländischen Parlaments fand sich zunächst eine Mehrheit, die sich für einen Verzicht entschloss. Aber umso größer war die Enttäuschung bei der deutschen Bevölkerung, als später ein anderer Beschluss gefasst wurde. So musste man mit dem Gedanken leben, dass West-Suderwick unter holländische Verwaltung gestellt wurde. Bereits im Jahre 1951 wurde bekannt, dass niederländische Parlamentarier diese Grenzkorrekturen ablehnten. Sie erklärten, dass es wünschenswert sei, wenn die 1949 holländischer Verwaltung unterstellten Grenzgebiete zurückgegeben würden.
Am Freitag, dem 22. April 1949 war es dann so weit. Es hieß: „Abschied nehmen“.
Der damalige Amtsdirektor des Amtes Liedern – Werth, zu dem Suderwick verwaltungstechnisch gehörte, sprach letztmalig in der Gastwirtschaft „Zum deutschen Eck“, (Inhaber Alois Jansen) zu der Bevölkerung von West-Suderwick. Er riet den Anwesenden, dass sie sich nie verlassen fühlen sollten.
Auch der damalige Landrat Renzel nahm Stellung zu dem Beschluss der niederländischen Verwaltung. Ebenso sprach der Oberkreisdirektor Lengert zu der Bevölkerung und betonte, dass das Gebiet von West-Suderwick immer deutsch bleibe und dass man vorläufig mit der Tatsache leben müsse, dass dieser westliche Teil Suderwicks unter fremdländische Verwaltung gestellt würde.
Verwandte, Bekannte, Eltern und Kinder besuchten sich noch einmal, bevor sie durch einen neuen Schlagbaum voneinander getrennt wurden.
Keiner konnte sich damit abfinden, dass hier so eine Gebietsveränderung vorgenommen werden sollte, denn es war keine Grenzbegradigung, wie es geheißen hatte, weil die Grenze noch nie so verwinkelt verlaufen war, wie nach der Annexion West-Suderwicks. Die Grenze ging kreuz und quer durch die Gegend, trennte landwirtschaftliche Flächen und schnitt Wege entzwei. Gegenüber der alten Grenzlinie, die durch die Straße von Bocholt durch Suderwick nach Anholt gebildet wurde, waren keine Anzeichen einer Verbesserung zu erkennen.
Wohl war der wirtschaftlich stärkere Teil Suderwicks, in dem die meisten Geschäfte und Läden lagen, unter holländische Verwaltung gekommen; jedoch hatten die Niederländer ihr Ziel, auch die Mühle Hübers mit ihrer hohen wirtschaftlichen Potenz, wie auch die evangelische Kirche und Schule unter ihre Verwaltung zu stellen, nicht erreicht, weil die britische Besatzungsbehörde durch ein Machtwort den Niederländern dieses Ansinnen nicht gestattete. So mussten sie den schon annektierten Bauernhof des Joseph Ernsten wieder abgeben und an die deutsche Verwaltung zurückgeben.
Der größte Anreiz für die Annexion Suderwicks war wohl, wie schon erwähnt, die Mühle Hübers. Die Einbeziehung dieser Mühle war durch die britische Besatzungsbehörde verhindert worden.
Da dieses Ansinnen nicht durchgeführt werden konnte, hätte die niederländische Regierung ihrerseits nun gut auf die Angliederung des restlichen Teils von West-Suderwick verzichten können, da dieses weniger lukrativ war. Dazu waren die Niederländer aber nicht bereit.
Es wurden dann 6,73 % der Fläche Suderwicks mit 4,75 qkm und 34,5 % der Bevölkerung, das waren 341 Einwohner, der niederländischen Verwaltung unterstellt.
Wie sah es nun in Suderwick aus?
Mit der Übernahme durch die niederländische Verwaltung wurden den Häusern in dem annektierten Gebiet neue Hausnummern zugeordnet. Hier hatte man sinnigerweise der Hausnummer ein „D“ vorgesetzt und diesen Bereich Wijk D bezeichnet und dann folgte die neue Hausnummer. Die Nummerierung begann an der jetzigen Straße Brückendeich und zwar von West nach Ost. Die Hausnummer D 1 trug das am entferntest gelegene Haus am Brückendeich, das Haus Nr. 182 nach damaliger Nummerierung. auf deutscher Seite. Die Hausnummern waren fortlaufend in östlicher Richtung ansteigend.
Die Geschäfte lagen überwiegend im niederländisch verwalteten Gebiet. Die Betreiber der Geschäfte sahen wenig Hoffnung, da sie nun von dem größten Teil ihrer Kunden abgetrennt waren und die Bevölkerung im angrenzenden Dinxperlo hatte ihre eigenen Geschäfte, die ihren eigenen Kundenstamm hatten, die sich aber nicht bewogen sahen, in West-Suderwick einkaufen zu gehen.
Nicht nur in dem besetzten Teil , sondern auch in dem bei Deutschland verbliebenen Teil gab es
erhebliche Schwierigkeiten. Da sich die Mehrzahl der Geschäfte im niederländisch verwalteten Teil befand, sah man im deutschen Teil keine Möglichkeit beim Bäcker, Metzger, Friseur oder Schuhmacher einkaufen zu können.
Selbst eine Räumlichkeit für Versammlungen oder eine Gaststätte gab es im östlichen Teil nicht.
Den Bewohnern von Suderwick-Ost, das noch unter deutscher Verwaltung stand, war das Betreten von Suderwick-West zunächst grundsätzlich verboten.
Die Bewohner von Suderwick-Ost, die katholischen Glaubens waren, durften ihre Kirche, die im westlichen Teil stand, nicht betreten. Sie konnten weder an religiösen Veranstaltungen wie Prozessionen, teilnehmen noch die Gräber ihrer Verstorbenen auf dem Friedhof aufsuchen.
Die Begleitung der Leiche zum Friedhof in einem Sterbefall wurde nur den nächsten Angehörigen und dann noch unter erheblichen Schwierigkeiten erlaubt.
Um in den niederländisch verwalteten Teil Suderwicks zu gelangen, benötigte man Pässe. Pässe für die Arbeit, für den Besuch von Verwanden, der Schule und der Kirche. Selbst um auf die Äcker und Felder zu gelangen, wurden Pässe benötigt, die jedoch erst wesentlich später eingeführt wurden.
Trotz aller Versprechungen, dass der Schulbesuch aller Kinder, also auch die Kinder der im östlichen Teil Suderwicks wohnenden Familien gestattet bleiben sollte, wurde diese Zusage nicht eingehalten, denn im Herbst 1949 wurde durch die niederländischen Behörden das Betreten der Schule ab Ostern 1950 untersagt.
Diese wurde aber auf Betreiben von Pfarrer Ignaz Wigger durch lange und zähe Verhandlungen wieder rückgängig gemacht.
Auf Betreiben der Schulbehörde und des Gemeinderates wurde der Antrag zum Bau einer neuen Schule gestellt, der auch genehmigt wurde. Ein Grundstück war schnell gefunden, denn es wurde eine Fläche neben der evangelischen Schule im deutschen Teil Suderwicks zur Verfügung gestellt.
Der erste Spatenstich erfolgte im Frühjahr 1950. Die Grundsteinlegung wurde mit dem Richtfest am 15. Juni 1951 zusammengelegt.
Am Samstag, dem 02. Dezember 1950 wurde die neue katholische Volksschule eingeweiht. Die neue Volksschule war als Ersatz für die auf dem abgetrennten Gebiet stehende Schule erbaut worden. Wohl wurde in der alten Schule eine Klasse erhalten, damit die Schüler in diesem Teil auch die Schule besuchen konnten. Hier musste aber der Unterricht schichtweise vormittags und nachmittags durchgeführt werden, weil die Niederländer einen Klassenraum der alten Schule für ihre Schulzwecke in Anspruch genommen hatten. Es war ein moderner Bau, der nach den neuesten Erkenntnissen der Schulraumgestaltung, den Fredeburger Richtlinien, erbaut worden war. Der Bau war so gestaltet, dass man zwei Klassenräume durch eine Zieharmonikawand trennte. Schob man diese beiseite, stand ein größerer Raum für besondere Veranstaltungen zur Verfügung.
Unter der Beteiligung hoher Regierungsvertreter wurde die Schule ihrer Bestimmung übergeben. Die Kinder von Suderwick-West, die auch zu dieser Feier eingeladen waren und die Feier mit gestalten sollten, durften nicht teilnehmen, weil angeblich der Antrag auf Erteilung eines Sammelpasses für die Überschreitung der Grenze zu spät erfolgt sei. Durch Pastor Wigger wurde die Schule eingeweiht und in einer Feierstunde ihrer Bestimmung übergeben.
Dem damaligen Lehrer Golombowski wurden in der Feierstunde die Schlüssel für dieses neue Gebäude übergeben.
Geplant war, die vier unteren Jahrgänge der Schüler von ganz Suderwick in der neuen Schule und die Schüler der oberen Jahrgänge von ganz Suderwick in der alten Schule zu unterrichten. Das bedeutet, dass die Schüler aus dem abgetrennten westlichen Teil die Schule in Ost-Suderwick und umgekehrt besuchen konnten.
Festgehalten wurde, dass am 04. 03. 1951 nach den neuesten statistischen Angaben in Suderwick-Ost 210 katholische und 370 evangelische Christen und in Suderwick-West 257 katholische und 85 evangelische Christen wohnten. Somit hatte ganz Suderwick eine Einwohnerzahl von 922 Personen, wovon 467 katholisch und 455 evangelisch waren.
Vor der Trennung sollen in Suderwick etwa 500 Katholiken gewohnt haben. Einige katholische Familien sollen ausgezogen sein, weil sie nicht unter niederländischer Verwaltung leben wollten.
Zu diesem Stichtag soll es 65 katholische Schüler in Suderwick gegeben haben. Die Zahl vor der Teilung soll bei 100 gelegen haben. Die Zahl der Schulbesucher wurde auch dadurch reduziert, weil einige Eltern ihre Kinder in auswärtige nichtdeutsche Schulen schickten.
In dieser Zeit und zwar am 29. November 1949 bereits stellte der in Suderwick-West Nr. 25 wohnende Heinrich Elbers den Antrag auf Erlaubnis zum Kleinhandel mit Branntwein und zum Betrieb einer Gaststätte in Suderwick – Ost, an der Wegekreuzung Straße und Privatweg zur Mühle Hübers. Mit folgender Begründung: „ Wegen der willkürlichen Veränderung der Landesgrenze und der Übernahme unseres Gemeindeteils unter niederländische Verwaltungshoheit ist unsere gewerbliche Zukunft unsicher. Die von den Eltern übernommene Gaststätte kann z. Zt. noch nicht wieder aufgebaut werden. Die Schwägerin wohnt in Isselburg und kann die Konzession nicht selbst ausüben. Ich bitte daher die von den Eltern und Voreltern überkommene Konzession mir zu übertragen oder mir neu zu gewähren, weil ich als einziger der Brüder im Elterhause verblieben bin. Meine Schwester wird mir in der Gaststätte helfen.
Selbige soll während der Grenzveränderung im frei gebliebenen Teil der Gemeinde Suderwick einstweilen ausgeübt werden, bis die endgültige Grenzfestsetzung klare Sicht erlaubt und alsdann die endgültige Lage der Gaststätte gewählt werden kann.
Die Genehmigung wurde ihm am 6. September 1950 erteilt und so baute er an der Dinxperloer Straße mit der heutigen Hausnummer 410 die Gaststätte „Zum Pitt“
Die Gaststätte wurde, da die Zeiten noch sehr ungewiss waren, zunächst in einer Baracke untergebracht. Bereits am 13.10. 1952 wurde dem Heinrich Elbers auf Antrag die Erlaubnis zum Betrieb einer Schankwirtschaft (räumliche Erweiterung) in dem noch zur errichtenden Gebäude und Saal erteilt.
Gleichzeitig wurde ihm am 13. Oktober 1952 die Ansiedlungsgenehmigung erteilt. Die Anschrift des privaten Wohnhauses, dass an dem Privatweg zur Mühle und zwar hinter dem Saal der Gaststätte errichtet wurde, lautet: Zur Mühle 3
In dieser Zeit war Ignaz Wigger Pfarrer an der katholischen Kirche in Suderwick. Unermüdlich hat er sich, wie auch der Mühlenbesitzer Gerhard Hübers für den Erhalt der ganzen Gemeinde eingesetzt. Sein besonderes Augenmerk galt der katholischen Schule, die dank seiner Anstrengungen als „katholische Schule unter niederländischer Auftragsverwaltung“ mit einem deutschen Schulleiter erhalten blieb. Schulleiter zu dieser Zeit war der Lehrer Paul Brügge, der die Geschichte Suderwicks erforscht und zu Papier gebracht hat.
Am 02. September 1950 traten mit Herrn Joseph Koppers als Bürgermeister 3 weitere Mitglieder des Gemeinderates aus der Gemeindevertretung aus. Es hatte intern unüberwindbare Querelen gegeben, die schon fast ein Jahr anhielten und schließlich zu dem Entschluss der vier Herren führte.
Da der Gemeinderat von Suderwick nunmehr nicht mehr regierungsfähig war, wurde eine außerordentliche Sitzung des Kreistages des Kreises Borken einberufen, der im Gemeindesaal zu Spork tagte.
Hier wurde das Verhalten der vier Gemeinderatsmitglieder aufs schärfste verurteilt.
Der Kreistagabgeordnete und stellvertretende Landrat Hügging schlug dann als Sprecher aller Kreistagsmitglieder den Landrat Renzel zum Beauftragten für die Gemeinde Suderwick vor. Bei der anschließenden Wahl wurde Landrat Renzel einstimmig zum Beauftragten von Suderwick gewählt. Die Mitglieder des Kreistages haben sich von der Tatsache leiten lassen, dass Landrat Renzel als Abgeordneter und Mitlied des Grenzlandausschusses die besten Lösungen für Suderwicker Probleme hätte herbeiführen können. Man traute ihm auch zu, durch sein Wirken in dieser Gemeinde wieder die Voraussetzungen für eine wirkliche Selbstverwaltung zu schaffen.
Am Mittwoch, dem ??.??. 1950 stellte sich der Beauftragte für Suderwick, Landrat Renzel der Suderwicker Bevölkerung in der evangelischen Schule vor. In seiner Ansprache erklärte er, dass es in der Erkenntnis darüber, dass es in Suderwick um nationale Aufgaben gehe, sei Bürgermeister Koppers, der im abgetrennten Teil Suderwicks wohne, mit der Weiterführung der Geschäfte als Bürgermeister beauftragt worden, um zu demonstrieren, dass der Kreistag des Kreises Borken Suderwick als eine geschlossene deutsche Gemeinde betrachte.
Landrat Renzel führte weiter aus, dass er als Beauftragter alles daran setzen werde, aus der gegenwärtigen Situation noch Vorteile für die Gemeinde zu erzielen. Erwähnt wurde von ihm der Bau eines Jugendheimes, einer neuen Mädchenberufsschule und der Ausbau der Strecke Suderwick – Anholt – Herzebocholt.
Als Schlusswort sagte er, dass kein Nebeneinander, sondern ein enges Miteinander das Gebot der Stunde im Interesse Deutschlands, der Niederlande und Europas sei.
In der folgenden Zeit wurde auch die Gemeindebücherei ausgebaut und der Bestand an Büchern fast verdoppelt. So konnte man im Sommer 1951 alle vierzehn Tage 6 Lesemappen mit je 5 – 7 Zeitschriften kostenlos ausgeben, die durch Schulkinder abgeholt und weitergetragen wurden.
In der schweren Zeit haben die Bewohner von West- und Ost-Suderwick nie vergessen, dass sie zusammen gehören und von je her Eins gewesen sind.
Das führte auch dazu, dass in Suderwick ein Heimatverein gegründet wurde. In der Einladung war folgendes zu lesen:
„Zur Pflege des Heimatgedankens und des heimatlichen Brauchtums soll in der Gemeinde Suderwick ein Heimatverein ins Leben gerufen werden.
Näheres wird in der Gründungsversammlung am Donnerstag, dem 19. 07. 1951, um 17.30 Uhr in der neuen katholischen Schule mitgeteilt. Landrat Renzel und Oberkreisdirektor Lengert werden in der Versammlung sprechen. Der Vorstand des Heimatvereins soll von der Versammlung gewählt werden.
Alle Suderwicker Familien werden herzlich eingeladen, an dieser Gründungsversammlung teilzunehmen.“
Mit Heimatgruß
Die Einladung hatte eine große Resonanz gefunden und eine Vielzahl von Interessenten waren in die neue katholische Schule gekommen, um dem neuen Heimatverein auf die Beine zu helfen.
Ansprachen wurden gehalten von Amtmann Sundermann, vom Amt Liedern-Werth und Oberkreisdirektor Lengert. Seine Ausführungen gingen davon aus, dass alle Heimatvereine ein eigenständiges Leben führen, deren Ziele ortsbezogen sind und die selbstverantwortlich handeln müssen. Das beweise gerade Suderwick, wo es bekanntlich die oberste Aufgabe sei, eine verbindende Brücke zwischen den beiden Ortsteilen zu schlagen, die nun leider dadurch entstanden sind, dass vor gut 2 Jahren ein Teil des Dorfes unter niederländische Verwaltung kam. Zwar seien dem Heimatverein damit keine politischen Ziele gegeben, sein Arbeitsbereich bleibe das kulturelle Gebiet.
Nach diesen Ausführungen schritt man zur Wahl des Vorstandes, die einem Vorschlag gemäß zeigte, dass man sowohl die Parität zwischen Ost- und Westsuderwick, als auch zwischen den Konfessionen zu wahren wusste. Vorsitzender wurde der Metzgermeister Johann Krämer, sein Stellvertreter der Gärntereibesitzer Heinrich Elting, die Kassengeschäfte führt der Sparkassenrendant Alois Jansen und als Schriftführer fungierte der Buchhalter Georg August. Die Pastoren und Lehrerschaft beider Konfessionen wurden zu Beisitzern gewählt. .
Der Zusammenhalt der getrennten Bevölkerung zeigt sich auch in den Veranstaltungen und Aktivitäten in beiden Ortsteilen.
So nahm auch Pfarrer Wigger von der kath. Kirche, die im niederländisch verwalteten Teil stand, an der Einweihung des neuen ev. Jugendheimes teil, die am 06. 02. 1952 stattfand. Die geladenen Ehrengäste äußerten sich dahingehend, dass es ein Heim für die Jugend beider Konfessionen sein soll. Amtsdirektor Post erklärte, dass er diese Heim als Zentrum der Gemeinschaftsbildung, als Brücke zwischen kath. und ev. Jugend und Bindeglied zu dem unter niederländischer Verwaltung stehenden Teil Suderwicks sehe.
Am 14. April 1952 wurde von dem Schützenverein ein Heimatabend in West-Suderwick veranstaltet, der nachmittags von Bocholter Quartettverein und dem Kinderblasorchester der ev. Gemeinde und abends vom Quartettverein und dem Blasorchester mit gestaltet wurde.
Am 09. Mai 1952 fand eine außerordentliche Sitzung des Kreistages des Kreises Borken in Suderwick statt. Hier wurde der einstimmige Wunsch geäußert, dass die benachbarten Niederlande schon vor der Entscheidung durch einen Friedensvertrag und sobald wie möglich auf das von Suderwick abgetrennte Gebiet verzichten und Zustimmung zur Wiederherstellung der alten Grenzen geben möge. Diese Resolution wurde in einer Denkschrift zusammengefasst und den zuständigen Gremien zugeleitet.
Aus den Ausführungen ist folgendes festzuhalten:
1. Der Verlauf der alten und jetzigen vorläufigen Grenze.
Bis zum 23. April 1949 verlief die niederländisch-deutsche Grenze in Suderwick entlang der Provinzialstraße Bocholt – Anholt (Die Umgehungsstraße –Dinxperloer Straße war noch nicht gebaut. Der gesamte Verkehr nach Anholt lief durch den Ortskern (über den Hellweg und Brückendeich.) und zwar dergestalt, dass der Fahrdamm niederländisch und die südlichen Bürgersteige und Bankette aber deutsch waren. Südlich der Straße war also die deutsche Gemeinde Suderwick, nördlich die niederländische Gemeinde Dinxperlo. Dieser Grenzverlauf war klar und übersichtlich und für jeden erkennbar. Die Benutzung der Straße war durch den preußisch-niederländischen Staatsvertrag vom 07. November 1822 geregelt und vollzog sich, wie auch der gesamte Suderwicker Grenzverkehr, ohne besondere Schwierigkeiten. Die nach den Londoner Empfehlungen festgelegte vorläufige Grenze verläuft in einem Abstand von durchschnittlich 240 m südlich der eben erwähnten Provinzialstraße.
2. Suderwick ist stets deutsch gewesen.
Wenn in den Londoner Empfehlungen in dem Suderwick betreffenden Absatz von dem „deutschen Teil des Dorfs Dinxperlo“ die Rede ist, dann muss dazu erklärt werden, dass weder der zur Zeit unter niederländischer Auftragsverwaltung stehende Teil noch ein anderer Teil der Gemeinde jemals ein Teil des Dorfes Dinxperlo gewesen ist. Die Geschichte beweist zweifelsfrei, dass Suderwick stets deutsch gewesen ist.
3. Die Auswirkungen der Grenzänderungen
Suderwick zählte vor der Gebietabtrennung insgesamt 988 Einwohner, davon 89 niederländische Staatsangehörige. Durch die Grenzänderung kamen 341 Einwohner, – das sind 34,5 Prozent – unter niederländische Verwaltung. Davon waren 28 niederländischer Staatsangehörigkeit. Die Gesamtfläche von Suderwick betrug vor der Abtrennung 697 ha. Hiervon wurden 48,80 ha abgetrennt.
4. Die Verkehrsverhältnisse
Sie haben durch die Grenzziehung eine einschneidende Verschlechterung erfahren. Der Durchgangsverkehr von Bocholt über Suderwick nach Anholt ist nicht mehr möglich. Der Umweg muss über Werth und Isselburg erfolgen. Der Verkehr von Suderwick selbst oder den zwischen Suderwick und Bocholt liegenden Orten nach Anholt ist noch weit mehr behindert. Lastzüge, die von Suderwick nach Anholt wollen, müssen den Umweg von 25 km über Bocholt-Werth-Isselburg machen. Die direkte Verbindung Suderwick – Anholt beträgt 5,5 Kilometer
5. Schwerwiegende wirtschaftliche Folgen.
Die gewerblichen Betriebe, die in dem abgetrennten Teil von Suderwick ansässig sind, haben durch die Grenzänderung mit einem Schlage ihre Existenzgrundlage zum größten Teil verloren, da sie von ihrem außerhalb des abgetrennten Gebietes liegenden Kundenkreis in Suderwick und darüber hinaus abgeschnitten und nur noch auf den abgetrennten Teil der Gemeinde angewiesen sind. Die holländische Bevölkerung kommt als Kundschaft nicht in Betracht, weil sie ihren eigenen Gewerbebetrieben treu bleibt. Auch für die gewerblichen Betriebe im deutsch verwalteten Teil von Suderwick bedeutet die Abtrennung eines Drittels der Bevölkerung eine Verschlechterung die zwar in den meisten Fällen noch nicht die Existenz gefährdet, aber doch zu einer schweren und dauernden Schädigung geführt hat.
6. Das kulturelle Leben
Die Beschränkungen, die die Grenzänderung auf kirchlichem und schulischem Gebiete verursacht, haben in den Jahren seit dem 23. April 1949 immer wieder zu teils beträchtlichen Schwierigkeiten geführt, obwohl die niederländischen wie auch die beteiligten deutschen Dienststellen in ständig zunehmendem Maße bestrebt waren, den aus der unglücklichen Grenzziehung sich zwangsläufig ergebenden Folgen die Härte zu nehmen. Aber kein noch so guter Wille der Grenzbeamten und der sonstigen beteiligten Dienststellen wird, solange die Grenze in der jetzigen Form bestehen bleibt, verhindern können, dass immer wieder wegen des Besuches kirchlich-religiöser Veranstaltungen und insbesondere der Schulen Schwierigkeiten, Ärger und Verdruss entstehen. Das ergibt sich einfach aus der Tatsache, dass die katholische Kirche und Schule in dem abgetrennten Gemeindeteil, die evangelische Kirche und Schule diesseits der Grenze liegen, aber katholische ebenso wie evangelische Kirchengesucher und Schulkinder sowohl diesseits als auch jenseits der jetzigen Grenze wohnen.
Am 25. Mai 1952 wurde ein Heimatabend des Heimatvereins abgehalten. Als Gäste waren anwesend: Landrat Renzel, Amtsdirektor Post, Vertreter des Kreisheimatvereins sowie der Heimatvereine von Bocholt und Rhede.
Die Veranstaltung war in zwei Teilbereiche geteilt. Im ersten Teil wurden Lieder, Gedichte und Sprüche in Platt- und Hochdeutsch von Kindern der ev. und kath. Schule, von Jugendgruppen beider Konfessionen sowie Volkslieder, Märsche und Konzertstücke des Kinderblasorchesters und des ev. Posaunenchores vorgetragen.
Im zweiten Teil trug Herr Hüls aus Bocholt ernste und heitere Plattdeutsche Geschichte und Erzählungen vor. Der damalige Geschäftsführer des Bocholter Vereins für Heimatpflege, Herr Lindenberg, rundete die Veranstaltung mit einem Lichtbildervortrag mit Bildern aus der engeren Heimat ab.
Im Herbst des Jahres 1952 wurde nach 26 Monaten ein neuer Gemeinderat gewählt. Joh. Wilhelm Tuente wurde nach seiner Wahl zum Bürgermeister ernannt.
Am 10. April 1960 berichtet das BBV, dass am gestrigen Tage in Den Haag der Ausgleichsvertrag mit Holland unterzeichnet worden sei. Es sei die formelle Bereinigung aller zweiseitigen Kriegs- und Nachkriegsprobleme.
Der Vertrag wurde im „Großen Saal“ des Haager Außenamtes von Bundesaußenminister Dr. von Brentano und dem niederländischen Außenminister Luns feierlich unterzeichnet. Mitunterzeichner waren die Verhandlungsführer beider Länder, für die Bundesrepublik Sonderbotschafter Dr. Lahr und für die Niederlande Dr. van Houten. Der Generalvertrag umfasst 80 Seiten und bedarf jetzt noch der Ratifizierung durch die Parlamente. Die Ratifizierung wurde als gewiss vorausgesetzt und wahrscheinlich noch vor den großen Parlamentsferien abgeschlossen werden. Es sollte jedoch anders kommen.
Josef Brüninghoff, April 2007